Esna / Latopolis
Von Luxor ca. 50 km entfernt liegt das altägyptische Iunit oder (Ta)-senet. Es wurde von den Griechen Latopolis genannt, nach dem Lates-Fisch, den die Bewohner verehrten und auf einem Friedhof westlich der Stadt beisetzten. An der gleichen Stell liegen Nekopolen mit Menschenbestattungen aus dem Mittleren Reich bis in die Spätzeit. Die Stadt wird heute Esna genannt. Esna liegt an der Ausmündung einer Karawanenstraße nach Nubien. Der Tempel von Esna gehört zu den vier südlichsten gut erhaltenen Tempel aus der Zeit der Ptolemäer (Griechen) die die Herrschaft mit Alexander dem Großen in Ägypten übernahmen. Die vier Tempel südlich von Luxor sind: Esna, Edfu, Kom Ombo und Philae. Nördlich von Luxor liegt der zu dieser Zeit gehörende Tempel von Dendera.
Wenn man mit dem Schiff nach Esna kommt, begrüßt den Reisenden erst einmal der Gebetsruf vom Minarett der an der Uferstraße stehenden Moschee. Von einem Tempel ist weit und breit nichts zusehen. Die heilige Straße, die vielleicht einst den Tempel mit dem Ufer verband, ist verschwunden. Der Kai mit den Kartuschen des Marcus Aurelius ist allerdings noch heute in Benutzung. Nun, die Händler sind schon in der Basarstraße aktiv. Für jeden Besucher, der von der Uferstraße kommt, bietet sich also zuerst das bunte Treiben des Basars. Der Himmel hängt voller Galabijas und Stoffe. Das Gedränge ist atemberaubend. Aber wo ist der Tempel? Der Blick geht auf eine Mauer mit einer kleinen Eisengittertür. Davor steht ein Wächter und kontrolliert die Eintrittskarten, wobei er gleichzeitig versucht die Besucher geordnet auf eine Treppe zu dirigieren. Jetzt kommt die Überraschung: Der Tempel liegt im "KELLER", das heißt man muß die Treppe herabsteigen um zu dem Tempel zu kommen. Der Höhenunterschied zwischen der jetzt benutzten Straße und dem vor ca. 2000 Jahren zum Bauen benutzten Platz beträgt gut 10,00m. In keinem Fachbuch hatte ich bis jetzt einen Hinweis darauf gesehen, das der Tempel so tief unter dem jetzigen Straßen- und Häuserniveau liegt. Die Fotos zeigen immer nur die Vorderseite des Tempels, aber nie eine Höhenansicht.
Der Tempel ist auf Grund dieser Lage auch nur zum Teil zusehen. Der Teil der dem Besucher zugänglich ist, wurde schon im Jahre 1842 von dem Herrscher Mohammed Ali ausgegraben. Der größte Teil des Tempels steckt noch in der Nilschlammschicht die sich im Laufe der 2000 Jahre angesammelt hatte. Man muß befürchten, das durch die darüber befindlichen Häuser mit ihren Abwas-serleitungen und die übrige Verschmutzung einen erheblichen Teil zur weiteren Beschädigung der noch in der Erde befindlichen Tempelteile beiträgt. Die Teile, welche zugänglich sind, sind meiner Auffassung nach auch nicht gerade besonders geschützt. Allein, wenn man die Menschenmengen rechnet die jeden Tag mit ihren Rucksäcken auf dem Rücken an den Wänden vorbeischleifen. Was mir besonders auffiel, war die starke Versalzung der Mauern, die nach Augenmass eine Höhe von ca. 1,50m erreicht. Vor dem Gebäude befindet sich ein Graben von ca. 0,60 0,80m, in dem eine gelbliche bis grünliche Flüssigkeit steht und einen unangenehmen Geruch verbreitet. Es sieht nach einer Mischung von Grundwasser und anderen salzhaltigen Flüssigkeiten aus.
Das gesamte rückwärtige Gelände des Tempels ist eine Mischung aus Nilschlamm und Abfall aus den darüber befindlichen Häusern, von denen einige schon erhebliche Risse und eine Schieflage aufweisen. Verblüffend aber ist, dass auf dem Platz vor dem Tempel eine wunderschöne Palme wächst. Auf Nachfrage wurde erklärt, die Wurzel sei schon sehr alt und der Baum habe nach langen Jahren der Ruhe wieder angefangen zu wachsen. Bauteile, die sich aus dem Bauwerk gelöst haben befinden sich zum Teil im wildem Haufen am der Umfassungsmauer gestapelt.
Der Tempel von Esna ist dem Chnum, dem göttlichen Töpfer mit Widderkopf und einigen weiteren Göttern geweiht, von denen als bedeutendste Neith und Heka, der Göttin der Magie, genannt seien. Aufrecht steht heute nur die erste Säulenquerhalle, deren Westwand einst den Beginn des Tempelinnern bezeichnete. Die Reliefs an dieser Wand stammen aus der Zeit von Ptolemaios VI. Philometor und Ptolemaios VIII. Euergetes II. Einige der Szenen (Darstellung von Göttern und des Königs beim Vogelfang mit dem Netz) verdienen Hervorhebung. Von dem ursprünglichen Gebäude ist heute nur noch die zur Zeit des Imperators Claudius errichtete Hypostylvorhalle erhalten. In der koptischen Zeit wurde die Halle als Kirche benutzt, worauf auch ein in der Wand eingeschlagenes Kreuz hinweist. Später wurde die Halle als Baumwollager genutzt und trotztdem ist sie noch in einem guten Zustand.
Zum Bedeutendsten gehören allerdings Texte auf den Säulen, die ein klares und anschauliches Bild von den Festen des sakralen Jahres in Esna vermitteln, das in Form eines Kalenders als Säuleninschrift ebenfalls übermittelt ist. Hinzuweisen ist ferner auf zwei kryptographische geschriebene, d. h. verschlüsselte Hymnen an Chnum, die einmal nur aus Widderzeichen, zum anderen aus Krokodilshieroglyphen bestehen.
Die Decke wird von zwei Säulengruppen mit jeweils neun Säulen getragen. Auf der Höhe des Eingangsportales stehen seitlich, rechts und links je drei weitere große Säulen. Weiterhin ist die Decke der Halle des Tempels von Esna mit astronomischen Szenen und der religiösen Hauptfeste bemalt.
Ein Blick durch die Säulenhalle vermittelt dem Besucher einen Eindruck von der Bautechnik seiner Zeit.
An der Vorderfrond des Tempels befinden sich zwischen den einzelnen Säulen Szenen, die den König mit verschiedenen Götter zeigen. Auf der Abbildung wird über dem König das Anchzeichen als Form für das ewige Leben aus-gegossen. Gleichzeitig soll damit das ewige Königstum über Ägypten dargestellt werden.
Der Tempel von Esna stand in kultischer Beziehung zu kleineren Nachbarheiligtümer. Auf dem Ostufer des Nils, Esna gegenüber bei El-Hilla, im antiken Contralatopolis, stand ein kleiner Isis-Tempel aus der Ptolemäerzeit. Er wurde unter PtolemäusIX. Soter II und Kleoprata Cocce dekoriert und unter Marc Aurel und Commodus mit einem 7,60 x 6,30 m großen Pronaos ausgestattet. Erhalten war noch das Steintor eines Pylons, ein 2 x 4- Säulen-pronaos mit Inschriften der Erbauer. An der Decke befand sich ein Zodiak. Das Tempelhaus mit einem zentralen Längsraum mit Seitenräumen und dem Opfertischraum. Das dahinter folgende Sanktuar war bereits damals verloren. An der Außenwand war der Sieg Ptolemäus III. über die Armenier, Perser, Thraker und Makedonier dargestellt. Der kleine Tempel wurde von der Napoleonischen Expedition als noch aufrecht stehend gezeichnet und fiel erst 1828 dem Bau eines Regierungsgebäudes zum Opfer.
Ein weiteres Heiligtum lag ca. 3,7 km nordwestlich von Esna. Die Napoleonische Expedition beschreibt auch diesen, Ed-Dier genannten Tempel als teilweise noch aufrecht stehend. Er wurde ebenso abgebrochen 1843 von den Türken, um eine Fabrikanlage aufzubauen.
Literaturhinweise:
Ägypten, Götter Tempel Pyramiden, A. Siliotti
Monumente großer Kulturen, Ägypten
Weltatlas der Weltkulturen, Ägypten
Baukunst der Pharaonen, H. Stierlin
Reisebericht Esna, D. Hein